Zürcher Geschäftsinhaber in Not. Es gibt Tage, da liegen abends keine 100 Franken in der Kasse

Sie haben kaum mehr Umsatz – aber Hilfsgelder tröpfeln nur spärlich herein. Vielen Geschäftsführern steht das Wasser bis zum Hals. Drei Beispiele.

Liliane Minor

Michael (l.) und Florian Würsten verkaufen Ausrüstung für Amateur-Hockeyspieler. Seit der Corona-Krise kämpfen sie um ihre Existenz.

Foto: Andrea Zahler

 

 

Hätte jemand Florian Würsten vor einem Jahr gesagt, dass er eines Tages fast froh sein würde, wenn ihm die Behörden den Laden schliessen: Er hätte gelacht. Denn das Jahr 2020 hatte gut angefangen für ihn und seinen Bruder Michael. Die beiden führen seit sieben Jahren in Nürensdorf den Laden HockeyBros, der sich auf Hockey-Ausrüstung für Amateursportler spezialisiert hat. «Wer ein Geschäft aufbaut, muss in den ersten Jahren immer schmal durch. Aber im letzten Winter hatten wir das erste Mal das Gefühl, wir könnten ernten, was wir gesät haben», sagt Florian Würsten.

Dann kam Corona. Seither kämpfen die beiden Männer um das Überleben ihrer Firma. Wie so viele Kleinunternehmer. Denn die Hilfsmassnahmen erreichen viele Firmen nicht. Und sie reichen auch oft nicht.

Zum Beispiel bei den Würsten-Brüdern. Als Inhaber können sie für sich selbst keine Kurzarbeit geltend machen. Zwar erhielten sie im Frühling Erwerbsersatzzahlungen. «Aber das waren nur je etwas über 3000 Franken», erzählt Florian, «damit mussten wir neben unserem Lohn auch Fixkosten wie die Geschäftsmiete, Versicherungen und IT bezahlen. Im Klartext: Wir mussten auf unseren Lohn verzichten.» Und das, obwohl ihnen Zulieferer und Vermieter finanziell entgegenkamen.

Regeln passen nicht für Saisongeschäft

Im Herbst kam es noch dicker. Ende Oktober verbot der Bund alle Amateurtrainings für über 16-Jährige. Die Folge: «Unser Umsatz ist um rund 60 Prozent eingebrochen.» Es gibt Tage, da liegen abends keine 100 Franken in der Kasse. Erwerbsersatz erhielten Florian und Michael Würsten im Herbst dennoch keinen mehr.

Florian Würsten hat sich in unzähligen Telefongesprächen mit unzähligen Ämtern den Mund fusselig geredet.

Das Problem: Unternehmer müssen den Erwerbsersatz jeden Monat von Neuem beantragen. Entscheidend für die Auszahlung ist der durchschnittliche Umsatz der letzten Jahre. «Das ist für ein Geschäft wie unserem, das in zwei, drei Monaten den Hauptumsatz macht, ein völlig verkehrter Ansatz. Man müsste, wenn schon, den aktuellen Umsatz mit dem jeweiligen Vorjahresmonat vergleichen», ärgert sich Florian Würsten. So aber wirkt der Umsatzeinbruch in den Wintermonaten viel kleiner, als er effektiv ist.

Würsten hat sich in unzähligen Telefongesprächen mit unzähligen Ämtern den Mund fusselig geredet. Er sei zwar auf viel Verständnis gestossen: «Aber immer hiess es, die Regeln seien halt so, dann hat man mich ans nächste Amt verwiesen.» Finanzhilfe haben die Brüder bis heute keine mehr erhalten.

Entlassung, Bürokündigung – und doch reicht es nicht

Nicht viel besser erging es Christina Renevey und ihrem Mann. Das Ehepaar ist Inhaber von Traveljobmarket, der einzigen Stellenvermittlung in der Schweiz, die sich auf die Reisebranche spezialisiert hat. In der Reisebranche geht gar nichts mehr, der Umsatz von Traveljobmarket ist um 80 Prozent eingebrochen. Zwei von vier Mitarbeitern hat Renevey entlassen, die beiden anderen sind auf Kurzarbeit. Das Büro in Oerlikon hat sie gekündigt, «die Vermieterin wollte uns nicht entgegenkommen». Seither arbeitet sie daheim.

 

 

 

Personalvermittlerin Christina Renevey hat kaum mehr Stellen zu vergeben.

Foto: PD

 

Auch Renevey ärgert sich über die spärliche und langsame Hilfe für Geschäftsinhaber. «Da zahlen wir über Jahre brav unsere Beiträge in die Sozialversicherungen. Aber jetzt, wo wir unverschuldet in Not kommen, müssen wir unser eigenes Geld einschiessen.» Der Erwerbsersatz, den sie seit September erhält, reiche nicht.

Einen Nebenjob anzunehmen, um etwas dazuzuverdienen, sei schwierig. Sie könne den Betrieb nicht einfach einstellen, sagt Renevey. Denn wenn sie das Geschäft irgendwann wieder hochfahren wolle, müssen Kundenkontakte weiter gepflegt werden. Und da sind auch die aktuell etwa 450 Stellensuchenden in ihrer Kartei: «Wenn die abspringen in eine andere Branche, sind sie weg.»

Kein Geld für neu übernommenes Geschäft

Keinen einzigen Rappen haben Iris Lehner und ihr Mann bisher bekommen. Obwohl ihr Fitnesscenter CFit in Horgen seit Dezember zu ist. Grund: Lehners haben das Center erst im Sommer übernommen. Damals befand sich der Betrieb wirtschaftlich in einer schlechten Lage. «Und nun vergleichen die Behörden unseren Umsatz mit dem schlechten Ergebnis, das die Vorbesitzer erzielt haben», erzählt Lehner. «Deshalb haben wir kein Anrecht auf Unterstützung.»

 

Obwohl ihr Fitnesscenter schliessen musste, hat Iris Lehner noch keinen Rappen erhalten.

Foto: PD

Auch auf Erwerbsersatz hat das Paar keinen Anspruch, weil es sich in den ersten Monaten selbst keinen Lohn auszahlte. Die Lehners leben derzeit vom Ersparten und von der Unterstützung durch ihre Familien. Das gehe aber nicht mehr lange gut, sagt Iris Lehner. Ehemann David versuche deshalb, Teilzeit wieder in seinem alten Job einzusteigen. Aber auch das ist tricky: «Wenn wir wieder öffnen können, brauchen wir ihn sofort hier.»

Am schlimmsten aber findet es Iris Lehner, dass die meisten ihrer Mitarbeiter kein Anrecht auf Kurzarbeit haben, weil sie diese erst im Sommer eingestellt hat. «Das ist in der aktuellen Lage reine Willkür», findet Lehner.

Geld gibts frühestens im Februar

Die Gebrüder Würsten, das Ehepaar Renevey, die Lehners: So wie ihnen geht es unzähligen Selbstständigen und Kleinunternehmern. Vielen steht das Wasser bis zum Hals, und das ändert sich auch mit der versprochenen Härtefallhilfe nicht so schnell. Zumal der Kanton Zürich im Vergleich zu anderen nicht nur langsam ist, sondern auch die Hürden höhergelegt hat (mehr dazu lesen Sie hier).

Während im Aargau bereits Geld fliesst, können Zürcher Unternehmer frühestens Mitte bis Ende Februar ihre Gesuche einreichen. Hilfe gibt es nur, wenn der Umsatz mindestens um die Hälfte zurückgegangen ist, damit ist Zürich auch da strenger als andere Kantone. Und: Je mehr Firmen im Kanton Gesuche einreichen, desto weniger Geld gibt es für den Einzelnen. Ob sich das nun ändert, wo der Bundesrat die Härtefallkriterien gelockert hat, ist noch unklar. Die Kantone dürfen auch weiterhin strengere Regeln beschliessen.

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Christina Reveney kann immerhin damit rechnen, dass sie etwas Geld bekommt. Aber: «Vorgesehen sind Zahlungen in der Grössenordnung von 10 Prozent des Jahresumsatzes. Das ist ein Tropfen auf den heissen Stein.» Auch die Würsten-Brüder hoffen auf Härtefallhilfe. Dass der Bund nun die Läden schliesst, vereinfache die Sache: «So haben wir sicher wieder Anrecht auf Erwerbsersatz.»

Iris Lehner könnte gemäss den aktuellen Zürcher Regeln nicht mit Geld rechnen. Nun schöpft sie Hoffnung: Der Bundesrat stuft neu alle Betriebe als Härtefälle ein, die mehr als 40 Tage geschlossen wurden, unabhängig von der Umsatzeinbusse.

Unsicherheit ist schwer erträglich

Die Verluste sind das eine. Was die befragten Unternehmer noch mehr belastet: die Unsicherheit. Nicht planen zu können, nicht zu wissen, wann Geld kommt – und wie viel. Die psychische Belastung von Selbstständigen sei sehr hoch, schreibt Rafael Lalive, Wirtschaftsprofessor und Mitglied der Taskforce des Bundes, auf Twitter. Mehr als ein Drittel fühlt sich erschöpft, hat Angst um die Existenz.

Das Ehepaar Lehner etwa würde die Zeit überbrücken und anders Geld verdienen, wenn es wüsste, dass sein Fitnesscenter noch bis im Sommer geschlossen bleibt. «Aber so, wie es jetzt läuft, ist das nicht realistisch. Wenn alles wieder aufgeht, müssen auch wir sofort kündigen und unser Center wieder öffnen können», sagt Iris Lehner.

Florian Würsten findet: «Es wäre schon viel gewonnen, wenn ich wüsste, dann und dann bekomme ich so und so viel. Dann könnte ich einen Plan erstellen.» Er habe versucht, die Motivation hochzuhalten, «aber ganz ehrlich, ich habe mich oft gefragt, warum ich überhaupt in den Laden gehe für die paar Franken». Immerhin diese Entscheidung hat ihm der Bundesrat nun abgenommen.

 

Quelle: Tagesanzeiger v. 14.1.2021